Potsdamer Neueste Nachrichten 17.10.06
Als Kleinmachnow unregierbar wurde
Bürgermeistergeschichten mit Günter Käbelmann
Erhart Hohenstein
Kleinmachnow - Im Herbst 1952 drohte
Kleinmachnow unregierbar zu werden. 2000 Einwohner drängten sich am 30. Oktober
im und vor dem Kino, um gegen die Sperrung des Grenzübergangs Düppel zu
protestieren. Diese Willkürmaßnahme zwang sie zu stundenlangen Umwegen, um ihre
Arbeitsplätze in West- und Ostberlin zu erreichen. Die Staatsmacht setzte die
Kasernierte Volkspolizei ein und ließ die „Rädelsführer“ festnehmen. Das
Bezirksgericht Potsdam verurteilte sie zu Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren.
Der erst 21-jährige Kleinmachnower Bürgermeister Gerhard Juhr bekam vier Jahre.
Damit wurde das Engagement des jungen Bürokaufmanns schlecht belohnt, der als
Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zur Übernahme des ungeliebten Amtes
gedrängt worden war. Der Archivar des Heimatvereins, Günter Käbelmann, ist bei
seinen Recherchen auf mehr als 30 Personen gestoßen, die seit der
Selbstständigkeit Kleinmachnows im Jahr 1920 Bürgermeister waren oder diesen
längere Zeit vertraten. Vor allem in der Nachkriegszeit hatte es schnelle
Amtswechsel gegeben. In einem Vortrag im Heimatverein ging Käbelmann jetzt den
Schicksalen einiger Amtsinhaber nach.
Bei dem allseits bekannten Heinrich
Funke, nach dem die Förster-Funke-Allee benannt ist, hielt sich Käbelmann nicht
lange auf. Der Privatförster des Gutsbesitzers von Hake hatte von 1920 bis 1933
als erster die Geschicke des nun selbständigen Ortes geleitet. Übrigens als
Gemeindeschulze, nicht als Bürgermeister. Diesen Titel trug erst sein
Nachfolger Erich Engelbrecht (1935 - 1945). Der gab sich äußerst schneidig und
lief meist in SS-Uniform durch den Ort. In Kleinmachnow nannte man ihn einen
Mörder, weil er vor Kriegsende 1945 Bewohner der Raiffeisen-Siedlung, die in
einem Schützengräben Zuflucht gesucht hatten, in ihre Häuser zurücktrieb. Dort
wurden mehrere beim sowjetischen Beschuss getötet. Doch Günter Käbelmann hat
Tatsachen recherchiert, die Engelbrecht nicht als fanatischen Nazi erscheinen
lassen. Er schickte zwei Volkssturmeinheiten nach Hause und rettete so viele
Leben. Gedeckt durch den NSDAP-Ortsgruppenvorsitzenden Helmut Last (ein
Findelkind, das später den Namen seines Vaters, von Dulon, annahm), meldete er
die Gemeinde bereits 1942 als „judenfrei“. Doch von den einst 155
Kleinmachnower Juden lebten noch 40 zurückgezogen in einem Haus und überstanden
den Holocaust. Engelbrecht setzte sich am Kriegsende nicht ab, sondern blieb im
Ort. Mitte Mai 1945 wurde er bei einem Friseurbesuch verhaftet, wenig später
auch von Dulon. Beide überlebten das sowjetische Internierungslager nicht.
Nach dem Sieg setzte die Besatzungsmacht einen Exekutivausschuss ein, dem mit
Ernst Lemmer ein späterer CDU-Spitzenpolitiker und Bundesminister angehörte.
Eine wichtige Rolle spielte ebenso Hans Cassagranda, der 1934 als Bauleiter in
das Kleinmachnower Bosch-Werk gekommen war. Das ehemalige KPD-Mitglied war ein
Beschaffungsgenie, das sich in dieser Notzeit unter anderem durch die
Sicherstellung der Grundversorgung Verdienste erwarb. Nach dem 1946 bei den
vorerst letzten demokratischen Kommunalwahlen im Osten Deutschlands die CDU
eine satte Mehrheit erzielt hatte (23 Sitze in der Gemeindevertretung gegenüber
sieben der SED), versuchte das stalinistische Regime die politische Entwicklung
im Ort wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sowohl Lemmer wie auch Cassagranda
gingen daraufhin in den Westen. Mit ihren Nachfolgern hatte die SED nicht viel
Glück. Beispielsweise soll sich Bürgermeister Friedrich Gellert (1948 -1950)
als Geschäftsführer einer Gesellschaft, die den alten Torfstich neu ausbeutete,
persönlich bereichert haben; er wanderte ins Gefängnis.
Nach der Protestversammlung vom Oktober 1952 zog erst mit Walter Schuch wieder
eine gewisse Stabilität ein. Er verwirklichte schon seit den 30er Jahren
bestehende Pläne für ein Sportgelände, den Ausbau eines Freibades auf dem
Bosch-Werkgelände und einer Freilichtbühne. Auch so genannte
„Intelligenzlerhäuser“ für Wissenschaftler und Künstler, die sich damals
bevorzugt in Kleinmachnow ansiedelten, entstanden in seiner bis 1960
andauernden Amtszeit. Doch auch Schuch verstieß angeblich gegen die
„Parteilinie“ und wurde zunächst nach Falkensee versetzt. Bald darauf wählte er
den Weg in den Westen. Beim Versuch, seine Familie nachzuholen, wurde er jedoch
gefasst und wegen „Republikflucht“ zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Auch seine Angehörigen erhielten Gefängnisstrafen. Walter Schuch blieb nach der
Haftentlassung in der DDR und verstarb 2002 in Brandenburg (Havel).
Mit dem Jahr 1960 setzte Günter Käbelmann den vorläufigen Schlusspunkt unter
seinen Vortrag – aus Zeitgründen. Die nicht minder spannende Kleinmachnower
Bürgermeistergeschichte zwischen Mauerbau 1961 und Wende bleibt einem zweiten
Abend vorbehalten.